Forum der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft

Allgemein => Expertenforum Mykologie => Thema gestartet von: Christoph am 29. März 2010, 21:42

Titel: Ionomidotis fulvotingens - Fund an Weißtanne!
Beitrag von: Christoph am 29. März 2010, 21:42
Servus beinand,

als ich heute (29.03.2010) meinen Hauswald (Tutzing, Wald südlich des Kalkgrabens) besuchte, fand ich zwei frisch gefallene Tannen vor, die ich natürlich sofort eingehend inspizieren musste. Beide waren Opfer des Rotrandporlings und des Sturms beim Temperatursturz des letzten Freitags. Die Tannen waren allerdings bereits stehend tot. Es ist ein Wunder, dass der Wald nicht von stehendem Totholz "befreit" wird. So gibt es einige Biotopbäume (alte Buchen, die zusammenbrechen dürfen, uralte Tannen etc.).

An mehreren Ästen einer erst letztes Jahr endgültig abgestorbenen, aber da bereits morschen Tanne, entdeckte ich Peniophora piceae, die ihrem Namen zum Trotz nur an Tanne wächst. Als ich einen Ast zum Fotografieren drapierte, entdeckte ich einen kleinen, büscheligen Becherling (Apothecien bis ca. 3 mm Durchmesser), der durch die Peniophora durchgewachsen war.

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=532.0;attach=1834;image)

Die Außenseite war braun und kleiig, wie bei einer Encoelia, die Fruchtschicht hingegen fast schwarz. Sofort dachte ich an Ionomidotis fulvotingens, da ich diese Art einmal für einen Artikel von Till Lohmeyer und Fredi Kasparek mikroskopiert und gezeichnet habe:

Lohmeyer T. & Kasparek F. (2002): Ionomidotis fulvotingens, Encoelia fascicularis und Velutarina rufoolivacea, drei unterscheinbare inoperculate Becherpilze aus der Unterfamilie der Encoelioideae. Mycol. Bav. 5: 43-55.

Entgegen der dort gegebenen Information, dass I. fulvotingens vornehmlich in Moor- und Auwäldern vorkäme, handelt es sich hier um ein klassisches, tannenreiches Hordelymo-Fagetum mit zusätzlich gepflanzten Fichten (Forst). Es ist ein wunderschöner Bestand, der u.A. auch Hydnellum geogenium, den Schwefelgelben Korkstacheling beherbergt. Ansonsten wäre ein hoher Artenreichtum an großen Ramarien für dieses Gebiet erwähnenswert.

Zuhause angekommen war ich skeptisch, da Ionomidotis noch nicht an Nadelholz gefunden wurde. Die kleinen nierenförmigen Sporen mit den zwei Öltropfen, die fädigen Paraphysen, die Asci mit auffallenden Haken, die wie Schnallen von Basidiomyzeten aussehen und die charakteristische rote Reaktion des Excipulums mit KOH - alles passt!

Leider habe ich zurzeit kein Makroobjektiv, weshalb ich mit einem Teleobjektiv fotografiert habe. Man kann die Art aber dennoch halbwegs erkennen. Die Becherchen waren noch jung.

Ob noch mehr Apothecien zu finden sind, weiß ich nicht. Es wurde dämmrig, weshalb ich nicht mehr weitersuchen konnte.

Ionomidotis fulvotingens ist entweder extrem selten oder übersehen worden. Dass die Art hier an einer stehenden (toten, aber noch im Astbereich berindeten) Tanne wächst, lässt hoffen, dass sie in diesem Habitat durchaus verbreitet sein könnte.

Wer hat diese Art noch gefunden? Sie soll laut Lohmeyer & Kasparek nur im kalten Halbjahr (Spätherbst / Winter / Frühling) zu finden sein...

Anbei meine anatomische Kurzbeschreibung mit Skizzen (alle Maße mal 0,95 nehmen, da mein Messokular nicht 1:1, sondern nur 0,95:1 skaliert ist):

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=532.0;attach=1836;image)

LG
Christoph
Titel: Antw: Ionomidotis fulvotingens - Fund an Weißtanne!
Beitrag von: AK_CCM am 29. März 2010, 22:44
Servus Christoph,

zwei hübsche und nicht gerade alltägliche Pilze - ein Jammer, dass Du kein Makro hast, das solltest Du Dir unbedingt noch zulegen. Habe beide Arten leider noch nie gesehen, geschweige denn von dem Becherling etwas gehört oder gelesen. Irgendwie hab ich's nicht so mit dem schlauchigen Kleinzeug. ;D

Gruß, Andreas
Titel: Antw: Ionomidotis fulvotingens - Fund an Weißtanne!
Beitrag von: Christoph am 29. März 2010, 23:03
Servus Andreas,

ich habe ein Makro, aber das ist leider kaputt gegangen. Hilft nix, da muss ich durch  ;).

ZitatIrgendwie hab ich's nicht so mit dem schlauchigen Kleinzeug.

Geht mir ja eigentlich auch so. Dennoch schaue ich ab und an auch schlauchiges an. Mir macht es vor allem dann Spaß, wenn ich bereits makroskopisch etwas vermuten kann und zudem weiß, Literatur dazu zu besitzen. Und der hier sieht eben aus wie eine Miniaturausgabe einer dunklen Encoelia.

Ich habe eben nochmal nachgeschmökert. Der Kontakt zur Peniophora ist nicht unbedingt Zufall. Ionomidotis scheint gern an oder bei Cortis zu wachsen. Wie Encoelia wächst die Art auch nur in der Luft. Der betroffene Ast war allerdings ca. 20 m über dem Boden, bevor der Baum brach. Schon sehr luftig ;-).

LG
Christoph
Titel: Antw: Ionomidotis fulvotingens - Fund an Weißtanne!
Beitrag von: Christoph am 30. März 2010, 10:35
Hallo zusammen,

auf der Seite von Mycokey ist auch eine Beschreibung nebst Fotos (alte Fruchtkörper, denen von Pilze der Schweiz entsprechend) und einer Mikroskizze von Hans-Otto Baral zu finden:

http://www.mycokey.com/MycoKeySolidState/species/Ionomidotis_fulvotingens.html (http://www.mycokey.com/MycoKeySolidState/species/Ionomidotis_fulvotingens.html)

Bei mir waren die Sporen auf die gesamte Ascuslänge verstreut (überlappend uniserial bis biserial), aber vielleicht sammeln sie sich oben, wenn der Ascus kurz vor dem Sporulieren steht?!

LG
Christoph
Titel: Antw: Ionomidotis fulvotingens - Fund an Weißtanne!
Beitrag von: Gernot am 30. März 2010, 12:43
Hallo Christoph,

ZitatBei mir waren die Sporen auf die gesamte Ascuslänge verstreut (überlappend uniserial bis biserial), aber vielleicht sammeln sie sich oben, wenn der Ascus kurz vor dem Sporulieren steht?!
Dann waren die von dir untersuchten Asci wahrscheinlich schon tot oder noch unreif, wie du ja selbst vermutet hast. Bei lebenden Asci vieler Schlauchpilze ist der Druck im Ascus groß und die Sporen werden gegen die Öffnung gedrückt. Bei toten Asci verliert sich das natürlich und die Sporen liegen "schlaff" im Ascus herum, meist uniseriat. Gut demonstriert ist das z.B. auf Zottos Seite links am Beispiel von Ascocoryne inflata, wobei er den Ascus durch KOH getötet hat. Der Effekt ist im Grunde aber der Gleiche. Hier der Link: http://www.gbif-mycology.de/HostedSites/Baral/index.html (http://www.gbif-mycology.de/HostedSites/Baral/index.html)

Schöne Grüße
Gernot
Titel: Antw: Ionomidotis fulvotingens - Fund an Weißtanne!
Beitrag von: Ingo W am 31. März 2010, 00:24
Hallo!

Übrigens hat dieser Innendruck (Turgor) nicht nur Einfluss auf die Ein- oder Zweireihigkeit, sondern muss auch beim Vergleichen der Ascus-Maße berücksichtigt werden. Ein turgeszenter Ascus ist immer um einiges breiter und länger.
Beim Vergleich in älterer Literatur oder bei Literatur, von der man weiß, dass die Präparate nicht von Lebendmaterial gemacht wurden (PdS), darf man sich also über Abweichungen nicht wundern. Die Angabe in Pilze der Schweiz über die Ein- oder Zweireihigkeit bei helotialen Becherlingen hat überhaupt keine Bedeutung.

Viele Grüße
Ingo W
Titel: Antw: Ionomidotis fulvotingens - Fund an Weißtanne!
Beitrag von: Christoph am 31. März 2010, 00:40
Hallo Ingo und Gernot,

Danke Euch beiden für die Informationen! Ich habe die Art allerdings frisch, lebend und in Wasser mikroskopiert. Die Fruchtkörper waren aber noch jung (und deshalb relativ klein). Es gab nur wenige freie Sporen. Vermutlich lag es daran, dass sich der Turgor noch nicht vollständig aufgebaut hat?!

LG
Christoph
Titel: Antw: Ionomidotis fulvotingens - Fund an Weißtanne!
Beitrag von: Till am 1. April 2010, 23:32
Hallo...

das Substratspektrum ist offenbar ziemlich groß; mein letzter Fund, vom 12.11.09, stammte von einer ungefähr fingerdicken, abgeschnittenen Rosa-Ranke in einer Neubausiedlung. Da war übrigens auch eine Peniophora oder sowas Ähnliches dran.

Alle unsere Funde hier unten stammen von abgefallenen Ästen (Salix, Juglans, cf. Populus), aber man weiß natürlich nicht, wie lange die schon auf dem Boden lagen.

Grüße
Till
Titel: Antw: Ionomidotis fulvotingens - Fund an Weißtanne!
Beitrag von: Christoph am 2. April 2010, 01:40
Hallo Till,

das mit der Peniophora ist wirklich interessant. In Eurem Aufsatz in der Mycol. Bav. (Lohmeyer & Kasparek) meine ich auch, eine Peniophora makroskopisch zu erkennen. Vielleicht kann Herr Kasparek bei Gelegenheit den Herbarbeleg dahingehend nachuntersuchen?! Eine Bindung an Peniophora spp. würde auch die große Diversität an Substraten elegant erklären.

An Rosen wächst ganz gerne Peniophora cinerea. Da die Peniophora-Arten ansitzendes Substrat bevorzugen und am Boden meist recht schnell absterben (mit Ausnahmen, Peniophora cinerea scheint meiner Erfahrung nach ganz gut am Boden weiterzuleben), wäre eine Bindung von Ionomidotis an luftiges Habitat nachvollziehbar.

Ich habe einen Ast mit der Ionomidotis im Wald gelassen. Gestern waren die daran befindlichen Becherchen völlig eingetrocknet. Heute, nach dauerhaftem Schneefall und großer Feuchtigkeit waren sie wieder völlig geöffnet und topfit...

Hier ein Foto von heute (von Thomas Kassel aufgenommen und freundlicherweise zur Verfügung gestellt) von genau diesem Ast:

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=532.0;attach=1913;image)
Ionomidotis fulvotingens an Peniophora piceae an Abies alba - schön zu sehen: die junge Becherinnenseite besitzt einen auffälligen Olivton, die Außenseite ist bereits jung rotbraun; Aufnahme von Thomas Kassel, 1.4.2010, Tutzing, Pfaffenberg/Kalkgraben


Es würde mich gar nicht wundern, wenn in den Baumkronen an Peniophora deutlich mehr Ionomidotis gefunden werden könnten, als die wenigen Fundpunkte bislang suggerieren. Wer klettert schon im Winterhalbjahr auf Bäume? Oder schaut nach Winterstürmen nach abgefallenen Ästen?

Zunächst sollte man aber die mögliche Bindung an Peniophora weiter beobachten und dadurch prüfen...

LG
Christoph