Forum der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft

Allgemein => Expertenforum Mykologie => Thema gestartet von: Christoph am 22. März 2019, 22:52

Titel: Skeletocutis nivea - unbestimmbar und nicht in Europa existent!
Beitrag von: Christoph am 22. März 2019, 22:52
Servus beinand,

Skeletocutis nivea ist vermutlich den meisten ein Begriff. Es ist dieser extrem engporige Porling mit ockerfarbener Hutkante, die im Alter schwärzt und der ganz gerne grünliche Töne in den Poren/Röhren hat, insgesamt aber weiß ist. Nun, früher dachte man, das sei ein Kosmopolit...

Beschrieben wurde Skeletocutis nivea aus Indonesien, also schon etwas weiter weg von hier. Da überrascht auch nicht, dass man mittlerweile weiß, dass Skeletocutis nivea s.str. in Europa gar nicht vorkommt (bzw. wenn, dann in Gewächshäusern / Tropenhäusern?!).

Wie nennt man dann hiesige Kollektionen?

Nun, im Moment leider (ohne Sequenz) praktisch gar nicht. Das Aggregat rund um Skeletocutis nivea wurde 2018 durch die Mangel genommen:

Aku Korhonen, Jaya Seelan Sathiya Seelan & Otto Miettinen (2018): Cryptic species diversity in polypores: the Skeletocutis nivea species complex. MycoKeys 36: 45–82. (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6060227/)

(Der Artikel ist frei lesbar)

Dass kryptische Arten beschrieben werden, ist ja mittlerweile Usus. Dass die Arten aber ununterscheidbar sind, ist für Amateure schwierig. Jedenfalls treten aus dem Aggregat in Europa wohl (mindestens) vier Arten auf:

Skeletocutis cummata, Skeletocutis nemoralis, Skeletocutis semipileata und Skeletocutis futilis.

Skeletocutis futilis hat realtiv breite Sporen für den Komplex: 3,0–4,0 × 0,7–0,9 µm
Diese Art ist nur vom Typus bekannt (aus Finnland) und wuchs dort an Sorbus aucuparia. Die Fruchtkörper sind sehr klein, nur bis 5 mm breit (wenn die Art nicht doch variabler ist).

Skeletocutis cummata ist vermutlich die einzige bestimmbare, denn die wächst ausschließlich an Nadelholz. Sie hat ähnlich wie Sk. futilis etwas breitere Sporen als der Rest des Aggregats und könnte daher vielleicht sogar bei entsprechend genauer Analyse zu erkennen sein: (2,8–)2,9–3,4(–3.9)×0,5–0,8(–0,9) µm

Skeletocutis nemoralis und Sk. semipileata hingegen überlappen komplett in ihren Merkmalen. Skeletocutis nemoralis wächst bevorzugt an Fraxinus, aber auch an anderen Laubhölzern und Sk. semipileata nimmt quasi alle möglichen Laubhölzer, auch Fraxinus.
Sporenmaße von Sk. nemoralis: (2,8–)2,9–3,2(–4,0)×(0,4–)0,5–0,6(–0,7) µm
Sporenmaße von Sk. semipileata: (2,3–)2,8–3,1(–3,3)×0,4–0,6(–0,7) µm

Hier ein Vergleich der Sporen aller Arten aus dem Aggregat (betrifft auch nichteuropäische Arten) aus Korhonen et al. (2018: 66):

(https://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=1852.0;attach=20324;image)

Die Autoren schreiben selbst, dass sie die beiden Arten nicht unterscheiden können (trotzdem beschreiben sie sie als neue Arten...). Es geht im Moment nur anhand der Sequenz.

Und wie nennt man jetzt "Skeletocutis nivea"? Da Sk. nemoralis wohl in Europa häufiger ist als die (aus Nordamerika beschriebene) Sk. semipileata, könnte man vielleicht "Sk. nemoralis s.l." sagen, damit man anzeigt, dass man z.B. Sk. futilis und Sk. cummata unterscheidet?
Dann könnte man zumindest Sk. cummata kartieren und es geht nicht alles in Skeletocutis-nivea-agg. unter, zumal die "echte" Sk. nivea in Europa gar nicht vorkommt.

Oder wer weiß? Vielleicht findet sich ja doch noch ein Trennmerkmal zwischen Sk. semipileata und Sk. nemoralis?

Auf alle Fälle lohnt es sich, alle Funde an Nadelholz nochmal kritisch zu rvidieren und die Sporen genauer anzuschauen. Viel Unterschied ist es nicht, aber ein bisserl breiter sind sie ja dann doch, die Sporen.

Sorry für die "schlechten Nachrichten", was das Erkennen von Sk. nivea angeht. Aber es ist halt, wie es ist. Der Natur (und den betroffenen Pilzen) ist es egal, ob wie die Arten erkennen können. Die Pilze schaffen es offenbar ganz ohne Mikroskop, zu erkennen, ob die Spore nebenan zur gleichen Art gehört. Ich vermute, sie können besser riechen als wir  8).

Liebe Grüße,
Christoph
Titel: Re: Skeletocutis nivea - unbestimmbar und nicht in Europa existent!
Beitrag von: Älbler am 23. März 2019, 10:24
Hallo Christoph,

dank der molekulargenetischen Vorgehensweise bei Artabgrenzungen ist es heutzutage einfacher, neue Arten zu beschreiben, als die bisher beschriebenen gegeneinander abzugrenzen. Jeder Artikel zu molekularen Artabgrenzungen bereitet uns Feldmorphologen entweder mehr Arbeit bei der Bestimmung oder er öffnet das Tor zu unserer Obsoletität einen Spalt weiter.

Schade nur, dass bei der Untersuchung die Art Skeletocutis alutacea nicht dabei war. Zur Aufdeckung von Verwandschaftsverhältnissen ist die Molekulargenetik nämlich schon sehr nützlich. Ich bin davon überzeugt, dass S. alutacea nicht zu Skeletocutis gehört, sondern eher zu Ceriporiopsis. Vielleicht sequenziert die mal einer.

Viele Grüße
Christian
Titel: Re: Skeletocutis nivea - unbestimmbar und nicht in Europa existent!
Beitrag von: Christoph am 23. März 2019, 22:28
Servus Christian

ZitatJeder Artikel zu molekularen Artabgrenzungen bereitet uns Feldmorphologen entweder mehr Arbeit bei der Bestimmung oder er öffnet das Tor zu unserer Obsoletität einen Spalt weiter.

letzteres sehe ich gar nicht so schwarz. Vielleicht ergibt sich gerade auch dadurch die Möglichkeit, die "Felderfahrung" einzubringen und so manche komplett kryptische Art aus ihrer Krypta rauszuholen, indem man doch etwas findet, woran man sie dann erkennen kann. Sei es die genauere ökologische Einnischung, sei es irgendein Detail, das in den oft genetiklastigen Arbeiten gar nicht geprüft wurde. Gut vielleicht nicht gerade im Skeletocutis-nivea-Formenkreis. Hier haben die Autoren ja  auch sehr genau morphologisch-anatomisch gearbeitet und selber versucht, Trennmerkmale zu finden. Doch wer weiß?

ZitatSchade nur, dass bei der Untersuchung die Art Skeletocutis alutacea nicht dabei war. Zur Aufdeckung von Verwandschaftsverhältnissen ist die Molekulargenetik nämlich schon sehr nützlich.

Der Artikel hat ja erstmal nur den Skeletocutis-nivea-Formenkreis beleichtet - und zu dem gehört Skeletocutis alutacea ja  nicht.

Ich finde die Molekulargenetik generell sehr nützlich. Vielleicht habe ich zu resigniert geklungen, als ich den Eröffnungsbeitrag schrieb. So war es dann aber gar nicht gemeint. Die Genetik ist in der Tat sehr nützlich, nur schafft sie auch nicht, alle Problemfälle zu lösen - Stichwort getrennte Arten trotz (fast) gleicher Sequenz (also falscher Locus?).

Nein, die Frage ist nur, wie sinnvoll es ist, reine genetische Arten zu beschreiben. Als z.B. das Peniophorella-praetermissa-Aggregat bearbeitet wurde, hatte man auf die Beschreibung der Arten, die sich nicht irgendwie erkennen lassen, verzichtet. Es ist sicher Geschmackssache, ob man einen "echten" Namen oder nur eine Clade-Nummer hat. Da es ja Vorstöße gibt, auch ganz ohne Beschreibung nur anhand einer DNA als Holotypus, neue Arten zu definieren, wäre das mit der erste Schritt dahin. Deshalb frage ich mich, on man Skeletocutis nemoralis wirklich hat beschreiben müssen, wenn diese im Moment nicht von Sk. semipileata unterscheidbar ist. Aber an sowas werden wir uns gewöhnen müssen. ;-)

Bevor ich zu weit ausschweife, lieber wieder zurück zu Skeletocutis. Ob Sk. alutacea schon sequenziert wurde, weiß ich natürlich nicht. In der GenBank ist jedenfalls keine Sequenz vorhanden. Es würde mich nicht wundern, wenn Skeletocutis nicht ohnehin polyphyletisch ist. Manche Stammbäume deuten ja jetzt schon darauf hin.

Liebe Grüße,
Christoph