Karbolegerlinge mit rötendem Fleisch(!)

Begonnen von Christoph, 11. Januar 2010, 21:25

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Matthias

ZitatAgaricus  phaeolepidotus (Rebhuhnegerling, Röten meist nur schwach ausgeprägt)
Servus Christoph.
das Gilben an der Stielbasis kann auch schwach sein. Die Art ist bei mir ja sehr häufig zu finden und gerade in warmen Zeiten im Sommer mit trockener Luft sind beide Verfärbungen nicht zu sehen.
Wenn man die Verfätbungen hat geht das röten nach einiger Zeit in einen hellbraunen Farbton über.
viel Grüsse
Matthias

Christoph

#8
Hallo zusammen,

ich wärme den Thread mal neu auf, weil ich das Glück hatte, vier Arten der Xanthodermatei nebeneinander zu sehen. Während des Jahrestreffens der ARGE Österreichischer Pilzberater wurden folgende Arten gefunden:

Agaricus xanthodermus s.str. (Karbolegerling im engen Sinne)
Agaricus moelleri (= X. meleagris, Perlhuhnegerling)
Agaricus phaeolepidotus (Rebhuhnegerling)
Agaricus pseudopratensis (Falscher Wiesenchampignon)

Gut, zu den ersten beiden Arten ist nicht viel zu sagen, aber der Rebhuhnegerling sah in der Tat einem Waldegerling sehr ähnlich. Das Fleisch hat auch gerötet. Hier hat sich die Stielbasis deutlich chromgelb verfärbt, weshalb die Zuordnung doch gut ging. Auch am Hutrand hat er unter - nein, besser: zwischen den Schuppen gegilbt. Der Geruch war auch nach längerem Liegen gut ausgeprägt. Für Anfänger dennoch ein "echter" Doppelgänger, oinsbesondere nach Abschneiden.

Agaricus pseudopratensis war frappierend: Ring flüchtig wie bei A. pratensis, Fleisch leicht rötend (kann bei A. pratensis auch der Fall sein), Gilben nicht so ausgeprägt wie bei typischen Xanthodermatei. Zunächst war der fast fehlende Geruch (nicht pilzig wie beim echten Wiesenchampignon) auffallend. Erst nach längerem Liegen entwickelte sich der Karbolgeruch. Dieser war dann aber so stark, dass er wirklich gestunken hat. Die Stielbasis verfärbte sich gelb, aber das Gilben hat längere Zeit gedauert, war dann aber deutlich. Wiederum: wäre er abgeschnitten worden...

Formen des A. pseudopratensis, bei denen das Gilben ausfällt, wären in der Tat für Speisepilzsammler heftig! Gefunden wurde A. pseudopratensis in den Zentralalpen (Kaunertal) in einem besonnten Südhang. Ich weiß die genaue Höhe nicht, müsste aber so um 2300-2400 m sein (leg. Klaus Oberhuber, Vorarlberg).


Leider konnte ich keine Fotos machen (sind aber vom Fund gemacht worden - bei Interesse beim mykologischen Arbeitskreis Vorarlberg nachfragen...).

Witzig war auch ein Agaricus essettei. Der hat schnell und intensiv in der Stielbasis gegilbt (sofort beim Durchschneiden), dass wir trotz des Anisgeruchs zur Sicherheit den Schaeffer-Test gemacht haben. War dann natürlich als Abnisegerling bestätigt. Solche aberranten Formen machen natürlich weniger Probleme, da sie notfalls in der Pilzberatung aussortiert werden. Für mich war es aber eine interessante Erfahrung. Besonders lehrreich war aber, "das Rebhuhn" und den Falschen Wiesenchampignon mal selbst gesehen zu haben.

Soviel als "Update" zu den "rötenden Stinkern".

LG
Christoph
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)

Rainer

Hallo Christoph,

der Erstnachweis in Deutschland wurde in der ZMykol. 1994-60/1 von Hans Bender publiziert.

LUDWIG (Pilzkompendium, Band 2) schreibt: "Recht junge, erst 1986 beschriebene Art, die bisher nur aus den Niederlanden, Deutschland und Israel von wenigen Funden bekannt ist."


Viele Grüße
Rainer

Christoph

#6
Servus Thomas,

ich habe eben aus Neugierde in der Checkliste der Basidiomycota Bayerns (Besl & Bresinsky) nachgeschlagen. Offensichtlich ist Allopsalliota geesterani zumindest in Bayern noch nicht nachgewiesen worden. In der Onlinekartierung ist sub nomine Agaricus geesterani Bas & Heinemann selbst deutschlandweit kein Fund eingetragen.

Gibt es überhaupt deutsche Nachweise?

Ich meine, mich an einen Artikel über die Art aus den Beneluxstaaten zu erinnern... Muss mal bei Gelegenheit nachrecherchieren.

LG
Christoph

P.S.: Agaricus pseudopratensis ist ebenfalls nicht bei Besl & Bresinsky verzeichnet. Ich vermute, dass diese Art einfach weitgehend unbekannt ist und deshalb nicht kartiert wird? In Unterfranken müsste sie doch eigentlich zu erwarten sein?!
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)

dorle

Hallo Christoph,
ich kenne ihn ebenfalls nur aus der Literatur. Aber essen würde ich ihn nach deinen Ausführungen keinesfalls. Weiterhin habe ich noch mal alles was ich an Literatur besitze durchgeschaut, auch im Internet recherchiert, konnte aber bezüglich des Speisewerts nicht finden. Also unbedingt essensmäßig die "Finger davon lassen".
Grüsse
Thomas.

Christoph

#4
Hallo Thomas,

ich kenne Allopsalliota geesterani ehrlich gesagt nur aus der Literatur. Deshalb kann ich zum Speisewert absolut nichts sagen. Die ausbleibende Schaeffer-Reaktion (eben nicht feuerrot werdend, sondern "nur" rosabräunlich") sagt ja nicht viel, weil sie ja nur bei den sog. Anisegerlingen und den Zwergegerlingen (z.B. Agaricus comptulus) positiv ist.

Ich wäre eher vorsichtig, zudem die Art ja nicht gerade häufig ist. Für mich gilt hier "Speisewert unbekannt". Die Art passt bezüglich der Fleischverfärbung nicht ins übliche Champignon-Schema und steht sicher nicht zu unrecht in einer eigenen Gattung.

LG
Christoph
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)

dorle

Hallo Christoph,
das paßt zwar jetzt nicht direkt hier rein, aber eine Frage.
Bei Allopsalliota geesterani-Maulwurfsegerling verfärbt das Fleisch im Anschnitt sofort chromgelb und schlägt nach einigen Minuten zu weinrot um. Bei der Schäfferschen Kreuzreaktion wird Hut-oder Stieloberfläche dunkel rosa bis purpurbraun.
Ich gehe mal davon aus, dass er eßbar ist, kann aber hierzu nichts finden.
Weißt du da was?
Grüsse
Thomas.

Christoph

#2
Noch ein kurzer Nachtrag...

Agaricus freirei wurde sogar als Mitglied der Sektion Rubescentes beschrieben, also als "Blutegerling" i.w.S. Das Gilben in der Stielbasis soll nur schwach sein (oder kann auch ganz fehlen?).

Wenngleich diese Art bislang wohl nur in Spanien und Frankreich nachgewiesen wurde, ist das Wissen um einen möglichen europäischen Giftpilz, der nicht ins allgemeine Champignonschema passt (Stielbasis stark gilbend --> giftig; Fleisch rötend --> essbar), auch für heimische Pilzberater wichtig.

Dass das Gilben auch mal ausfallen könne, macht es leider nicht gerade einfach  ::)

LG
Christoph
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)

Christoph

#1
Hallo zusammen,

aufgrund einer Diskussion in einem anderen Forum kam mir wieder ein Artikel in den Sinn, den ich mal beim Schmökern der Mycologia in Händen hatte:

Kerrigan et al. (2005): Agaricus section Xanthodermatei: a phylogenetic reconstruction
with commentary on taxa. Mycologia, 97(6), pp. 1292–1315.


Dieser interessante Aufsatz beschäftigt sich primär mit der Verwandtschaftsanalyse unter den Karbolegerlingen. Da die einzelnen Arten aber auch kommentiert werden, ist mir aufgefallen, dass mehrere Arten im Fleisch röten können! Hierbei wird zudem erwähnt, dass das Gilben oft nur schwach ausgeprägt ist und vom Röten rasch verdeckt werden kann. Die bekannten Arten, die dieses Verhalten deutlich zeigen:

Agaricus pseudopratensis (heimische Art, gilbt zumindest in der Stielbasis relativ deutlich, rötet häufig)
Agaricus freirei (Art aus Frankreich, rötet relativ stark)

Es gibt zwei weitere Arten, die schwach röten können:
Agaricus  phaeolepidotus (Rebhuhnegerling, Röten meist nur schwach ausgeprägt)
Agaricus hondensis (nordamerikanische Art, rötet meist schwach)


Die Arten sind genetisch gut getrennt und weit von A. xanthodermus entfernt. Auch mikroskopisch geht was (z.B. Sporenmaße).

Da das Gilben auch schwach ausgeprägt sein kann, muss man insbesondere in der Pilzberatung aufpassen. Ein an der Stielbasis abgeschnittener Agaricus pseudopratensis kann wohl nur anhand des Geruchs (makroskopisch) sauber von Agaricus pratensis unterschieden werden, ist aber wohl Magen-Darm-giftig.


Zu guter Letzt noch ein weiterer Aufsatz über Karbolegerlinge...:
Callac & Guinberteau (2005): Morphological and molecular characterization of two novel species of
Agaricus sect. Xanthodermatei. Mycologia, 97(2), pp. 416–424.


Hier wurden zwei neue Arten der Sektion aus Europa (Frankreich) beschrieben, beides Miniaturarten, also winzige Fruchtkörper bildende Arten:

1.) Agaricus xanthodermatulus. Er sieht aus wie eine Zwergform des Karbolegerlings, unterscheidet sich aber u.A. durch deutlich größere Sporen (neben Größe und auch genetischer Merkmale): 6,5-8 x  4,5-5,5 µm (im Vergleich zu 5-6,5 x 3,5-4,5 µm für A. xanthodermus)

und:

2.) Agaricus parvitigrinus: auch ein Zwerg, aber mit grauen mit Hutschuppen und kleineren Sporen: 5,5-7 x 3,5-4,5 µm, also ungefähr wie bei A. xanthodermus; genetisch aber sehr gut unterschieden...

Beide natürlich noch nicht in Deutschland, geschweige denn Bayern nachgewiesen. Wer beim Überarbeiten seines Herbars aber kleine Karbolegerlinge in Händen hat, sollte an die Beschreibungen denken.

Und nicht zu vergessen: die Karbolegerlinge, deren Fleisch auch röten kann. Das ist auch und gerade für Pilzsachverständige nicht uninteressant. Deshalb bitte weiterleiten / weitererzählen etc.

Liebe Grüße
Christoph

P.S.: vor wenigen Tagen erfuhr ich zufällig, dass so ein rötender Karbolegerling (mir gilbender Stielbasis) in der Umgebung von Mainz gefunden wurde. Bin gespannt, ob sich die Art nachbestimmen lässt.
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)