Der Dacrymyces-Thread - alles rund um Gallerttränen

Begonnen von Christoph, 10. Januar 2018, 16:16

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Beorn

Hallo, Christoph!

Ui, das sind beachtlich schöne Präsentationen!
Da muss ich mich schon richtig strecken, um ein paar Dokus annähernd auf einem ähnlichen Stand zusammenzubasteln.

Wenn die Gattung ja ohnehin polyphyletisch ist, kann ich immerhin mal ein paar Bildchen von Ditiola peziziformis hier lassen.
Diese "nicht - Gallertträne" ist in meiner gegend gar nicht mal selten, sitzt meist an mittelstark zersetzten, noch +/- berindeten Stämmen von Rotbuche in den Wäldern um Mannheim herum. Interessant ist ja dabei, daß sich das Habitat von dem "normalen" Verbreitungsbild so unterscheidet.
Also dem typischen auftreten an Nadelholz in eher winterkalten Berggegenden.

Manchmal ist man da ja rasch etwas skeptisch, ob es dann auch wirklich alles eine Art ist, aber andererseits sind vielleicht viele Pilze auch gar nicht so streng an eine bestimmte Ökologie gebunden...


LG, Pablo.

Christoph

#3
Servus beinand,

und nun noch ein paar Bemerkungen zu Dacrymyces paraphysatus. Peter Karasch hat diese Gallertträne an einem Viburnum-Ast gefunden - ich habe sie dann bearbeitet und bestimmt. Gemeinsam haben wir den Fund in der Z. Mykol. publiziert. Der Artikel ist frei verfügbar: https://www.dgfm-ev.de/publikationen/artikelsuche/dacrymyces-paraphysatus-bislang-nur-aus-tahiti-und-neuseeland-bekannt-erstmals-in-europa-nachgewiesen/download

Kurz zuvor und wurde diese Gallertträne auch in den Benelux-Staaten gefunden, sodass wir mit "erstmals in Europa" doch nicht recht hatten.

Man kann D. paraphysatus im Mikroskop gut anhand der doch sehr langen Sporen, der Schnallen und der auffallenden Dikaryophysen leicht erkennen. Seit 2002 gab es meines Wissens keine weiteren Funde mehr. Nur wer schaut sich Gallerttränen schon genauer an?!

Hier noch drei der Mikrozeichnungen, die in der Publikation sind, zur Schnellansicht - genaueres: siehe Artikel...







Liebe Grüße,
Christoph
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)

Christoph

#2
Dacrymyces macnabbii Reid, Trans. Br. mycol. Soc. 62(3): 456, 1974




Dacrymyces macnabbii - Fund aus dem Nationalpark Bayerischer Wald

Fruchtkörper rasig, dicht gedrängt, jedoch nicht zusammenfließend, kissenförmig mit niedergedrückter Mitte, bis 1 mm Durchmesser erreichend, 0,5 mm dick werdend, punktförmig am Substrat angewachsen, schmutzig ockerbräunlich mit eingemischtem, blassem Gelbton. Getrocknet zu dünnen, sich kaum  vom Substrat abhebenden, braunen Flecken zusammenschrumpfend, Fruchtkörperrasen mehrere Zentimeter Ausdehnung erreichend.

Hyphensystem monomitisch, Hyphen im Fruchtkörperfleisch meist 1-2(-4) µm dick, nahe der sterilen, dem Substrat zugewandten Seite stellenweise angeschwollen, dann bis zu 10 µm breit und sehr dickwandig; Hyphen langzellig, sich häufig verzweigend, in gelartige Matrix eingebettet, dennoch zusätzlich häufig von auffälligen, eigenen Gelscheiden ummantelt, diese in Lauge aufquellend und nach längerer Verweildauer in KOH 5% oder NH4 verschwindend. Einige Hyphen sind zudem deutlich inkrustiert und erscheinen im Profil deutlich und erhaben punktiert. Schnallen in reifen Fruchtkörpern an allen Zellen auftretend, jedoch bei Sekundärsepten (diese z. B. an Basidien auftretend) fehlend. Schnallen sehr variabel geformt, von geschlossen mit deutlichem Schnallenbogen und gut erkennbarem Winkel über Lochschnallen (zwischen Bogen und Zelle am Septum mit kleinem Zwischenraum) bis hin zu Medaillonschallen, bei denen man kaum noch oder gar nicht mehr zwischen Schnallenbogen und Primärhyphe unterscheiden kann. Medaillonschnallen im gesamten Fruchtkörper auftretend, sehr auffallend, am häufigsten und stärksten ausgeprägt nahe der dem Substrat zugewandten Seite. Verzweigungen häufig aus den Schnallenbögen entspringend, wodurch Medaillonschnallen nicht immer klar als Schnalle kenntlich, insbesondere, wenn zusätzlich ein Sekundärseptum eingezogen wird.



Hymenium nur auf der dem Substrat abgewandten Seite vorhanden, in älteren Fruchtkörpern aus kollabierten, abgesporten Basidien, jungen, reifen Basidien und Probasidien sowie zahlreichen Dikaryophysen unterschiedlichen Alters aufgebaut, sich also laufend neu bildend, sodass kollabierte Basidien im Alter sehr häufig werden. Am Rand der dem Substrat abgewandten Seite nimmt die Zahl der Basidien ab und knorrige, dickwandige, den Dikaryophysen ähnliche Elemente dominieren, sodass das Hymenium kontinuierlich in die sterile Fruchtkörperuntersite übergeht. 

Dikaryophysen bis 50 x  3-4 µm, meist einzellig bzw. zusammen mit mehreren basalen Zellen eine zwei- bis dreizellige Einheit bildend und diese auf Höhe der Basidien entspringend und so diese gesamte Einheit bis 75 µm lang werdend; Endzellen dieser Einheit, also die Dikaryophysen im engeren Sinn basal meist etwas dickwandig, apikal dünnwandig, jung etwas gewunden zylindrisch, später apikal sich verzweigend, schließlich fast bäumchenartig verzweigt, selten auch mit vereinzelten Septen und Schnallen in den abzweigenden Ästchen.  Junge Dikaryophysen sind teils schwer von Probasidien zu unterscheiden, sind aber basal meist etwas dickwandig, ältere Dikaryophysen können in der Masse kollabierter Basidien untergehen und so leicht übersehen werden. Die Anzahl der Dikaryophysen variiert im selben Fruchtkörper zwischen vereinzelt eingestreut und zahlreich und auffallend.



Probasidien bis 75 x 4 (-5) µm, mit Basalschnalle, sich durch ältere, kollabierte Basidien und durch Dikaryophysen schlängelnd, daher häufig verbogen, gekniet oder etwas wellig und so schwer von jungen Dikaryophysen zu unterscheiden, jedoch dünnwandig.

Basidien dacrymycetoid, d.h. stimmgabelförmig verzweigt, mit Basalschnalle, bis 75 x 3-4(5) µm (im Verzeigungsbereich breiter), vor der Sporenreife mit abgerundeten Enden der beiden Apikaläste, schließlich durch Bildung von Sterigmata spitz endend, beim Aussprossen der Sporen häufig schnallenlose Sekundärsepten bildend (sowohl im Basalbereich als auch in den beiden Ästen), im basalen Bereich teils mit kurzem Seitenauswuchs; Basidien nach Sporenabwurf bald kollabierend, hierbei zunächst die Apikaläste, schließlich auch der obere Bereich, dann der basale Bereich der Basidie zusammenfallend; durch die vielen kollabierten Basidien sind die Basidienbasen nicht immer leicht darzustellen.

Sporen (n = 32) 10-11,8-14(-15) x 3-3,5-4(-4,5) µm, Q = 2,8-3,4-4,0; Sporen meist gekrümmt, oft bananenartig, d.h. apikales Ende meist eher gestreckt und am Vorderende, also am Ende mit dem deutlich sichtbaren, breiten Apiculus, stärker gekrümmt, jedoch auch angedeutet S-förmige Sporen mit leichter zentraler Einschnürung auftretend; Sporen farblos, oft hyalin, aber auch mit ölig erscheinendem, opaquem Plasma gefüllte Sporen auftretend, bei denen auftretende Vakuolen deutlich erkennbar sind; Sporen ohne oder mit mehreren, winzigen Öltröpfchen. Septen wurden nicht beobachtet.



Sterile Unterseite aus bizarr gewundenen und verzweigten, teils sehr dickwandigen Elementen aufgebaut; diese Abschlussschicht erinnert an die im Hymenium auftretenden Dikaryophysen und geht am Fruchtkörperrand auch in das Hymenium fließend über. Hyphen nahe der sterilen Unterseite teils mit dickwandigen Anschwellungen und hier die größte Häufigkeit von extrem ausgeprägten Medaillonschnallen.

Ökologie: Auf dem Holz von am Boden liegenden oder bodennah tot ansitzenden Ästen von Pinus sylvestris und Pinus mugo subsp. rotunda (Wuchsform ähnlich der subsp. mugo) in einem Spirkenhochmoor.

Diskussion:

1. Abgrenzung zu ähnlichen bzw. nahestehenden Arten

Aufgrund der unseptierten, schmalen Sporen und der auffälligen Medaillonschnallen ist Dacrymyces macnabbii leicht zu bestimmen. Insbesondere die Medaillonschnallen sind ein Alleinstellungsmerkmal. Reid (1974: 456) merkt entsprechend an: ,,It is of interest to note that this would seem to bet he first report of the occurence of loop-like clamp-connexions in the Dacrymycetaceae." Auch die Fruchtkörperform passt zur Originalbeschreibung, allein die Farbgebung der hier vorgestellten Kollektionen entspricht nicht den Angaben den Originalbeschreibung: ,,Sporophores 0.5-1.0 mm diam, gregarious, but discrete, as small, gelatinous, light yellow, rather thick, flat discoid bodies." (Reid 1974: 456).

Göttel (1983: 173) bestätigt die Fruchtkörperform, erwähnt aber leider nicht die Farbgebung ihrer Kollektionen (Substrat Kiefer): ,,Die Fruchtkörper flachen mit zunehmendem Alter ab [...]. Besonders bei dichten Vorkommen ist sehr häufig eine zentrale Eindellung im Hymenium festzustellen [...], die zuerst eine leicht schüsselförmige und letztlich die von Reid (1974) beschriebene discoide Form hervorruft."

Bei den hier vorgestellten Funden handelt es sich allerdings um sehr reife Fruchtkörper, was beispielsweise an der großen Zahl kollabierter Basidien erkennbar ist. Junge Stadien wurden folglich nicht beobachtet. Kołodziejczyk (2006) stellt in dem polnischen Internetforum ,,Bio-Forum" eine noch reifere Kollektion vor, die ebenfalls braune Fruchtkörper zeigt, bezüglich der Mikromerkmale ebenfalls den Angaben bei Reid (1974) sowie den hier vorgestellten Kollektionen entspricht. Auch hier war das Substrat Kiefer.

Dacrymyces tortus (Willd.) Fr. zeigt typischerweise Brauntöne und entwickelt auch in der Mitte vertiefte, discoide Fruchtkörper. Zudem können bei dieser Art nach Reid (1974) – sub nomine Dacrymyces punctiformis Neuhoff – Kollektionen mit unseptierten Sporen auftreten. Reid (1974) unterscheidet sie von Dacrymyces macnabbii anhand unverzweigter Dikaryophysen sowie der banalen Schnallen (Medaillonschnallen fehlen) und diskutiert wohl aufgrund dieser zentralen Unterschiede die Abgrenzung beider Arten voneinander nicht. Göttel (1983) zeigt hingegen, dass auch bei Dacrymyces tortus verzweigte Dikaryophysen auftreten. Dies ist aber nur bei sehr ausgereiften Fruchtkörpern der Fall, wenn die Basidien durch Dikaryophysen ersetzt werden. Krieglsteiner (2000) übernimmt trotzdem in seinem Bestimmungsschlüssel der Gattung Dacrymyces die nicht oder sehr wenig verzweigten Dikaryophysen.
Als Unterschiede bleiben die bei Dacrymyces tortus meist regelmäßig auftretenden septierten Sporen und die Makroskopie wie z. B. im Alter zusammenfließende Fruchtkörper übrig. Da es sich auch um eine Nadelbaumart handelt, ist auch kein ökologischer Unterschied wirklich greifbar. Die Abgrenzung ist folglich nicht einfach. Die untersuchten Fruchtkörper sind zwar reif, aber nicht überreif, da sowohl die Fruchtkörperkonsistenz nicht flüssig-weich ist und zwar kollabierte Basidien auftreten, jedoch noch immer junge Probasidien nachreifen. Auch sind keine alten, bereits auskeimenden Sporen beobachtet worden, die nach Göttel (1983) dann bis zu dreifach septiert und deutlich vergrößert wären. Es ist daher anzunehmen, dass die Dikaryophysen noch nicht deutlich apikal verzweigt wären, würde es sich hier um Dacrymyces tortus handeln. Göttel (1983) bemerkt zudem, dass bei Dacrymyces tortus die sterilen Elemente der dem Substrat zugewandten Fruchtkörperseite gleichmäßig dick wären und nur selten Schnallen tragen. Da die hier vorgestellten Kollektionen die typischen, deutlichen Medaillonschnallen aufweisen, die Sporen unseptiert sind die sterilen Elemente der Furchtkörperunterseite knorrig und variabel in der Dicke sind, wird in der Vielzahl der Merkmale Dacrymyces tortus ausgeschlossen.

Auch Dacrymyces enatus (Berk. & Curt.) Massee zeigt typischerweise braune Farbtöne bezüglich seiner ebenfalls sehr kleinen Fruchtkörper (vergl. Reid 1974, Kennedy 1958), unterscheidet sich aber durch seine zusammenfließenden Fruchtkörper, die banale Ausprägung der Schnallen (keine Medaillonschnallen), durch meist einfach septierte und kürzere Sporen sowie durch Vorkommen an Laubholz.

(Die Literaturliste ergänze ich bei Gelegenheit)

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Christoph

#1
Hallo zusammen,

aufgrund eines Threads über eine erst vermeintliche, dann aber über "wirkliche" Gallerttränen in einem anderen Pilzforum (siehe hier: https://www.pilzforum.eu/board/thema-gallerttraene--39907) entstand die Idee, dass sich Interessierte an dieser doch teils stark vernachlässigten Gattung zusammenfinden könnten, um Kollektionen zu vergleichen, zu diskutieren bzw. sich allgemein auszutauschen.

Daher eröffne ich jetzt diesen Sammel-Thread und werde ihn mit einer ausführlichen Vorstellung von Dacrymyces macnabbii (Fund aus dem Bayerischen Wald) sowie einer Kurzvorstellung von Dacrymyces paraphysatus ergänzen (wurde bereits publiziert - Hahn & Karasch 2002).

Ich würde mich freuen, wenn hier auch von anderen Pilzbegeisterten Gallerttränen vorgestellt würden und/oder diskutiert würden.

Es gibt ja noch einige Probleme wie die Abgrenzung von Dacrymyces stillatus vs. D. minor oder von D. capitatus vs. D. lacrymalis (usw.).

Um eine Gallerträne zu bestimmen, braucht man neben makroskopischen Merkmalen (Farbton, Form und Größe der Fruchtkörper, Substrat als Hilfsmerkmal) vor allemMikromerkmale. Hierzu gehört die Frage, ob Schnallen vorhanden sind oder nicht, falls sie vorhanden sind, wie sie aussehen, dann natürlich Sporengröße, -form und Art der Septierung und - sehr wichtig - die Ausprägung von Dikaryophysen. Der Begriff lehnt sich an die Paraphysen der Ascomyzeten an. Nur sind Paraphysen monokaryotisch, während die Dikaryophysen ganz normal dikaryotisch sind, also eigentlich Zystiden sind. Sind die Zystiden aber fädig (eben einer Paraphyse ähnlich), hat sich bei den Gallertpilzen dieser Begriff Dikaryophyse etabliert.
Die Dikaryophysen können auch stark vezweigt werden und dann an Dendrohyphidien erinnern.
Manche Gallerttränen haben keine Dikaryophysen (oder sie sehen aus wie junge Basidien, die noch nicht gegabelt sind). Ebenfalls wichtig kann das Vorhandensein von Inkrustationen an den Tramahyphen sein, aber auch die Ausbildung und Form von Haaren an der sterilen Fruchtkörperunterseite sowie die zugehörigen Nebenfruchtformen (wenn vorhanden).
Man findet auch innerhalb der Gallerttränen immer wieder Parasiten wie Tremella spp. - inwieweit sich manche Arten auf Artniveau eingenischt haben, wäre interessant, untersucht zu werden.

Die Gattung Dacrymyces ist polyphyletisch, wird also irgendwann vermutlich aufgetrennt werden. Im Mikroskop unterscheiden sich manche Artengruppen auch sehr stark voneinander.

Was die Arbeit mit und an Dacrymyces erschwert, ist das Fehlen moderner, umfassender Überarbeitungen. Zudem scheinen einige Arten potentiell weltweit vorzukommen. Es reicht also nicht, mit alten, "Aphyllophorales-Schlüsseln" zu arbeiten, denn es können auch "Exoten" bei uns wachsen, die bislang übersehen wurden (wie z. B. Dacrymyces paraphysatus - aus Tahiti beschrieben und auch aus Neuseeland bekannt, kommt aber doch in Europa vor). 

So, jetzt schließe ich das Eröffnungsposting und fange mit Dacrymyces macnabbii um nächsten Beitrag an.

Liebe Grüße,
Christoph

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