Schwer bestimmbare, weiße Leccinum-Art

Begonnen von Bernd Miggel, 3. November 2020, 12:52

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Bernd Miggel

Lieber Christoph,

danke für den Kommentar. Besonders die Hintergrundinformationen finde ich super!

Herzliche grüße
Bernd

Christoph

Lieber Bernd,

abeja hat ja schon einiges geschrieben, was ich nur bestätigen kann. Für mich ist das sogar recht typisch Leccinum cyaneobasileucum s.str. - im Prinzip ist es das Albino zu Leccinum brunneogriseolum, weshalb letzterer im Moment als Leccinum cyaneobasileucum var. brunneogriseolum läuft.
Der typische graubraune kann auch etwas grünlich werden (= fm. chlorinum), Lannoy & Estadès erwähnen das leichte Grünen aber ebenfalls in ihrer Beschreibung von L. cyaneobasileucum. Das unterstreicht, dass es wohl wirklich nur eine blasse Form ist, die aber nomenklatorisch Priorität besitzt.

Leccinum cyaneobasileucum s.str. ist m.E. sehr selten, L. cyaneobasileucum var. brunneogriseolum hingegen sehr häufig. Die Frage ist, ob der Varietätsrang überhaupt sinnvoll ist. So gesehen ist es die seltene weiße Form eines häufigen Pilzes.

Leccinum aerugineum (egal ob man die Art anerkennt oder nicht) wäre viel stärker grünblau am Hut (so alt wie hier) und hätte nicht so dominant viele Zylindrozysten in der HDS.

Liebe Grüße,
Christoph
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)

Bernd Miggel

#3
Hallo abeja.

danke für den Hinweis. Das bestätigt die Bestimmung des Fundes als Leccinum cyaneobasileucum.

Ist die Art in Deutschland selten?

V.G. - Bernd

abeja

#2
Hallo,
ohne jetzt überhaupt einen Schimmer von der Materie zu haben, habe ich interessehalber suchmaschiniert und bin auf einen alten Beitrag im PilzePilze-Forum gestoßen.

Da gab es auch einen weißen Birkenpilz (ohne Verfärbungen) mit sehr schlanken Sporen (Verhältnis tendentiell größer 3:1) und mit kettigen Zylindrozysten. Das wurde dann als L. cyaneobasileucum bestimmt, obwohl die Pilze auch bei "kein Sphagnum, Standort hauptsächlich Fichte mit Birken und eingestreut junge Buchen und Eichen." wuchsen.

Der Fundort scheint nicht so eine entscheidende Rolle zu spielen.

http://www.pilzepilze.de/cgi-bin/webbbs/parchive2007.pl?noframes;read=125409

FG, abeja

Bernd Miggel

#1


Bild 1 - Standort: Saurer Nadelmischwald bei Birke, Rotbuche, Weißtanne, Fichte, Traubeneiche und Salweide


Übersicht
Eine Gruppe von fünf Fruchtkörpern eines Raustielröhrlings mit weißem Hut, weißem Stiel und hellen Stielschuppen, gewachsen auf "normal feuchtem" Boden in Wegnähe.

Eckdaten zum Fund
Funddatum – 31.10. 2020
Belegnummer – div20007,Schelmenbusch
Fundort (Bild 1) – Walddistrikt Schelmenbusch, Baden-Württemberg, Enzkreis, Gemeinde Straubenhardt
MTB - 7117/32, Höhe 550 m
Boden, Geologie – Buntsandstein-Fließerden über Plattensandstein
Standort – Boden frisch, Halbschatten
Begleitbäume Betula pendula, Fagus sylvatica, Abies alba, Picea abies, Quercus petraea, Salix caprea
Krautige Begleitpflanzen - Brombeere
leg – Mykol. AK Hornberg (Monatsexkursion)

Makroskopische Merkmale des Fundes
Hutfarbe – weißlich bis creme, später mit grünlichen Zonen.
Hut bis 100 mm Durchmesser, weißlich, cremefarben, ganz hell bräunlich, klebrig, feucht gummiartig schleimig, Hutrand die Röhren überragend.
Röhren – hell bräunlichgrau, bis 14 mm lang
Poren – ca. 1 Pore pro mm
Stiel – bis 130 mm lang, schlank, oben bis 11 mm, unten bis 18 mm dick, creme bis sehr hell bräunlich, Stieloberfläche weder rosa noch grünlich verfärbend,
Schuppen zuerst wollig-weiß über weißer Stieloberfläche, später Schuppen hell bräunlich, dann rötend, klein, apikal sehr klein
Fleisch im Hut weiß, weiß bleibend, weder rosa noch grünlich verfärbend
Fleisch im Stiel weißlich bis hell holzfarben, über Stunden allmählich hellbräunlich; weder rosa noch grünlich verfärbend, über den Röhren bis ca. 10 mm dick
Myzel weiß

Makrochemische Farbreaktionen
FeSO4 (Hutfleisch) – spontan graugrün
Formal (Hutfleisch) – spontan null, nach 10 Min rosa

Mikroskopische Merkmale des Fundes
Sporen – schlank spindelförmig, dickwandig, mit supraapikaler Depression. 95 % Erwartungswerte der Mittelwerte aufgrund einer Probe von 40 repräsentativen, zufällig gewählten Sporen (L Länge, B Breite, Q Schlankheitsgrad Q = L/B, Volumen V:
L x B: 15,5-16,1 x 5,2-5,3 µm, Q: 2,9-3,1, V: 220-238 µm3
Hutdeckschicht – mit max. 20 µm breiten Zylindrozysten sowie schlanken, etwa 5 µm breiten, teilweise inkrustierten Hyphen
Kaulozystiden der Stielschuppen – bis 20 µm breit, zylindrisch, keulenförmig, ballonförmig, vielfach mit kurzen oder langen, auch mehrfachen Auswüchsen.


Um welche Art handelt es sich?


Eigener Bestimmungsversuch
Wenn man nach dem analytischen Schlüssel der europäischen Leccinum-Arten von Lannoy & Estade vorgeht, gelangt aufgrund der zahlreichen Zylindrozysten in der Huthaut und des dauerhaft weißen Hutes unweigerlich zu Leccinum cyaneobasileucum. Doch es stimmt das im Schlüssel verlangte Habitat "unter Moorbirke im Sphagnum" nicht. Der Fundort befand sich nicht im Nassen und schon gar nicht im Sphagnum.


Herzliche Grüße

Bernd



Literatur
GRÖGER F., BRESENSKY, A. und BESL, H. (Herausg.) (2006): Bestimmungsschlüssel für Blätterpilze und Röhrlinge in Europa Teil I, Regensburger Mykologische Schriften Band 13, Regensburg.
KIBBY G (2017) – Mushrooms and Toadstools of Britain & Europe, Vol. 1. Eigenverlag.
KORNERUP A & WANSCHER JH (1981) – Taschenlexikon der Farben. Göttingen
KUYPER TW, VELLINGA EC, NOORDELOOS ME (2018) Boletales E.J. Gilb.  – In: Flora Agaricina Neerlandica. Volume 7. Candusso Editrice, Origgio (VA).
WELT P & HAHN C  (2005): Studien zur Gattung Leccinum 2.  Leccinum schistophilum, Schiefer Raustielröhrling (Boletales, Boletaceae) in Sachsen. Erstfund für Deutschland. – In: Zeitschrift für Mykologie. Band 71/1, 2005.
DEN BAKKER HC & NOORDELOOS ME (2005): A Revision of European species of Leccinum Gray and notes on extralimital species. In: Persoonia, Vol. 18, Part 4.
DEN BAKKER HC & NOORDELOOS ME (2018): Leccinum S. F. Gray. In: Flora Agaticina Neerlandica, Vol. 7.
HAHN C (1997): Studien zur Gattung Leccinum 1. Vergleich von Leccinum oxydabile und L. variicolor. - In: Österr. Z. Pilzk. 6 (1997).
LANNOY G & ESTADES A (1995): Monographie des Leccinum d'Europe.
SUTARA J (1989): The delimitation of the genus Leccinum. In: Ceska Mykologie 43:1-12, Plates I-IV (1989).



Bilder



Bild 2 - Überreifer Fruchtkörper: weißer Hut mit grünlichem Anflug, unteres Stieldrittel weiß, Schuppen wollig-weiß




Bild 3 - Überreifer Fruchtkörper: Huthaut überstehend, mit grünlicher Zone, Stiel-Mittelbereich hellbräunlich, apikal weißlich




Bild 4 - Überreifer Fruchtkörper: Leichtes Grünen des Hutes deutlich erkennbar




Bild 5 - Normal reifer Fruchtkörper




Bild 6 - Normal reifer Fruchtkörper. Die Stiebschuppen beginnen zu bräunen, später zu röten




Bild 7 - Normal reifer Fruchtkörper. Stiel- und Hutfleisch weiß, weißbleibend




Bild 8 - Farbreaktionen nach 10 Minuten: links FeSO4 graugrün, rechts Formol rosa




Bild 9 - Sporen in H2O: spindelf. bis ellipsoid, dickwandig, mit supraapikaler Depression, hyalin, glattrandig




Bild 10 - Hutdeckschicht vom Exsikkat in GSM: Zylindrozysten und inkrustierte, dünne Hyphen




Bild 11 - Hutdeckschicht in SDS-Kongorot: Zylindrozysten und dünne Hyphen




Bild 12 - Hutdeckschicht in SDS-Kongorot: Zylindrozysten und dünne Hyphen




Bild 13 - Kaulozystiden der Stielschuppen: ballonförmig, keulig, z.T. mit Auswüchsen




Bild 14 - Kaulozystiden der Stielschuppen (bemaßt): zylindrisch, keulig, z.T. mit Auswüchsen




Bild 15 - Ein Huthautschnitt liefert eine sehr dicke, verschleimte Epikutis (Tannin-Eisen-Färbung)