Schwer bestimmbare Leccinum-Art

Begonnen von Bernd Miggel, 29. Oktober 2020, 11:47

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Bernd Miggel

Lieber Christoph,

das sehe ich genauso. Stellt sich sofort die Frage nach verlässlicher Gattungs-Literatur inkluvive verlässlicher Arten-Schlüssel für die einzelnen Gattungen. Ich konzentriere mich selber auf Mykorrhizapilze innerhalb der Agaricales, Boletales, Russulaceae und Ramarien. Aber welchen Artenschlüssel und Gattungsbeschreibungen kann man trauen?

Viele Grüße
Bernd

Christoph

Lieber Bernd,

was Kartierung angeht, wäre eine korrekte Bestimmung m.E. wichtig. Was bringt zum Beispiel (als Extrembeispiel) eine Fundmelduing eines Risspilzes, wenn er rein makroskopisch nach Bauchgefühl bestimmt wurde?

Bei vielen Arten ist genaue Mikroskopie und/oder Makroskopie einfach erforderlich. Andere hingegen, wie der Fliegenpilz, sind auch heute noch einfach kartierbar.

Man kann aber auch Artenaggregate kartieren. Dann eben als Leccinum scabrum agg. - wichtig ist dann nur, dass die Verbreitungskarte für Leccinum scabrum s. str. von allen grob bestimmten Meldungen bereinigt wäre.

Spezialisten hinzuzuziehen lohnt sich aber immer. Wenn man nur schaut, wie viele Fundmeldungen von Ramaria flava im Nachhinein einfach falsch bestimmt waren - oder von Ramaria aurea. Ramarien gehen nicht rein makroskopisch, wenn man nicht sehr viel Erfahrung hat. Josef Christan schafft viele Ramarien auch makroskopisch, aber auch er mikroskopiert lieber nach.

Ich vertete persönlich die Auffassung, nur sicher bestimmte Funde zu kartieren oder sie explizit als im weiteren Sinne aufgefasst einzutragen. Es kann ja auch interessant sein, ob Rotkappen allgemein zurückgehen. Wenn man also auch als Einsteiger "Rotkappe" kartieren kann, dann würde auffallen, wenn diese Meldungen zurück gehen. Wird aber ein Leccinum vulpinum kartiert, wäre es schon gut, wenn die Bestimmung nachvollziehbar ist. Die Meinungen gehen zwischen "es gibt nur eine Nadelwaldrotkappe" bis zu "es gibt deren drei" auseinander. Eine ist noch unbeschrieben.
Schaut ein Spezialist drüber, erkennt er solch tollen Funde. Oder man kann dank Beschreibung auch nachträglich revidieren.

Man muss sich immer fragen, welchen Aufwand man treiben kann und will. Wenn ich Fälblinge finde, dann muss ich mich entscheiden, ob ich jetzt sagen wir mal drei Stunden Mikroskopie- und Schlüsselarbeit investieren kann oder ob der Fälbling als hübscher Pilz im Wald bleibt. Oft eben letzteres, was mich betrifft.

Ich selber kartiere im Moment nur in Österreich. Aber dort gilt das gleiche - ich melde nur sicher bestimmte Funde und treibe oft und gerne mehr Aufwand, wenn mich die Aufsammlung interessiert. Es ist halt ein Hobby. Daher muss es auch Freude bereiten. Ich selber stürze mich gerne in die Untiefen aktueller Artkonzepte. Dafür schreibe ich nicht jeden Butterrübling auf, den ich sehe. Andere erfreuen sich daran, leicht kenntliche Arten flächendeckend zu kartieren. Beides ist wichtig und beides ergänzt sich. Man kann abr m.E. eben schwer bestimmbare Arten nicht einfach flächenkartieren.

Ich hatte neulich Psathyrella microrhiza in meinem Garten (bzw. habe sie noch dort stehen). Ich hätte die Art makroskopisch niemals sicher bestimmen können, nur vermuten (wegen der rot unterlegten Schneide), aber da gibt es mehrere Arten, das Konzept hat sich etwas gewandelt usw. Wäre ich noch unsicher, würde ich einen Spezialisten bitten, drüberzuschauen, bevor ich solche Funde kartieren würde.

Zurück zum Leccinum - deine Kollektion ist wirklich sehr interessant. Ich habe den Pilz so jedenfalls noch nicht gesehen. Und der warmbraune Fruchtkörper sieht auch spannnd aus. Falls du da eine Beschreibung und Mikros hättest, kann ich sehr gerne helfen oder es zumindest versuchen.

Liebe Grüße,
Christoph
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)

Bernd Miggel

Lieber Christoph,

da muss man sich natürlich als "Durchschnitts-Hobbymykologe" die Frage stellen: Wie soll man dann beim Kartieren vorgehen? Man müsste ja bei recht vielen Funden sämtliche Makro- und Mikromerkmale aufnehmen und dann einen Spezialisten für die entsprechende Gattung konsultieren. Ist das überhaupt zu leisten?

Viele Grüße
Bernd

Christoph

Lieber Bernd,

Leccinum schistophilum ist mit Gröger m.E. unbestimmbar. Leccinum schistophilum wurde von flachgründigen Schieferböden beschrieben und kommt z. B. in Ostdeutschland auch auf Abraumhalden (z. B. Braunkohle) vor. Die Art hat einen früh rissigen Hut und verfärbt sich nach längerer Zeit im Fleisch auffällig grau.

den Bakker hatte die aus Mooren beschriebene Art Leccinum palustre mit L. schistophilum synonymisiert - allerdings ignoriert er die beschriebenen Merkmale und das Habitat des (älteren, prioritären) Leccinum schistophilum s.str. und behauptet, die Art käme nur in Mooren vor. Gröger hat viel von den Bakker übernommen. Ich kann nicht ausschließen, dass L. schistophilum nicht auch mal ins Feuchte gehen kann, aber typisch sind schnell trocken fallende, flachgründige Böden.

Leccinum palustre ist auffallend grauhütig und hat eine glatte, etwas glänzende Huthaut. Verwechslungen sind eher mit etwas graulichen Moorbirkenpilzen denkbar. Makroskopisch passt das m.E. gar nicht. Gröger hat vielleicht auch Merkmale beider Arten etwas zusammen kompiliert, denn braunhütig passt nicht auf L. palustre.

Liebe Grüße,
Christoph
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Bernd Miggel

#3
Lieber Christoph,

hochinteressant. Ich selber hatte via Gröger L. schistophylum geschlüsselt, kenne die Art aber bisher  nicht.
Gröger:
1b weder Poren noch Stiel gelb – 3b Hut braun – 7b Fleisch (außer Stielbasis) unverändert – 9b Hut nicht auffallend fleckig – 10b Sporen mit Qav < 3,0 – 11a Stielbasis blaugrün verfärbend, Stiel < x25 – Hut braun, graubraun, Schüppchen dunkel, Elemente der Huthaut grob inkrustiert, bei Betula, gern feuchte, etwas kalkhaltige Böden liebend → Leccinum schistophilum

Die Mikrofotos stammen tatsächlich von den eher graubraunhütigen Exemplaren.

Viele Grüße
Bernd

Christoph

Lieber Bernd,

wow, das ist eine ausführliche und aussagekräftige Dokumentation. Da macht es richtig Freude, sich mit der Kollektion zu beschäftigen.

Zunächst: mich würde sehr wundern, wenn der graubraunhütige und der warm orangbraunhütige Pilz konspezifisch wären. Die Mikrofotos stammen von den eher graubraunhütigen Exemplaren?

Die Merkmale - Hutdeckschicht mit kurz-breiten Elementen (Zylindrozysten), Sporenquotient im Schnitt unter 3, Hut graubraun, Fleisch bunt verfärbend  deutlich rosa, dazu blau, gerne gemischt (sollte später auch grün dabei sein können), die breiten Caulozystiden, die gut erkennbaren dunklen Stielschüppchen (dunkelbraun) - alls das passt eigentlich sehr gut auf Leccinum umbrinoides (Blum) Lannoy & Estadès oder auf Leccinum variicolor.

Ich habe nur das, was Lannoy & Estadès als Leccinum umbrinoides beschreiben und abbilden, noch nicht selber gefunden. Deshalb nenne ich den Namen unter Vorbehalt.

Was nicht ganz passt, sind die Sporenmaße - die Sporen sollten größer werden können. Man braucht aber auch wirklich alte Fruchtkörper, um ausgereifte Sporen zu haben. Für Leccinum variicolor passen die Sporenmaße besser.

den Bakker & Noordeloos haben das Taxon nichtmal diskutiert... Die Abgrenzung der beiden ist nicht sehr einfach. Dazu gleich...

Ich glaube nicht an Leccinum cyaneobasileucum s.l., da diese Art nicht so klar differenzierte Stielschüppchen hätte, dessen Sporen einen deutlich längeren Quotienten haben und die Caulocystiden schmaler und anders geformt sind. Auch andere Arten wie Leccinum schistiphilum (s.str. und s. den Bakker) passen nicht.

Also geht es um L. variicolor vs. L. umbrinoides

Ersterer hat gerne einen pickelig-buckeligen Hut. Ich meine, so kleine Höckerchen am Foto erkennen zu können. Das ist am Foto aber immer so eine Sache.  Der Grauanteil im Braun ist bei dieser Art meist recht groß - da ist mir der gezeigte Hut zu braun mit zu wenig Grau. Dann zeigt L. variicolor gerne ockerfarbene Ausblassungen, die aber auch fehlen können (Lannoy & Estades zeigen da ein paar Formen ohne die Flecken) - die kann man am Foto auch erkennen, wenn man will, das kenne ich aber größer und deutlicher. Die Stielschuppen sind bei L. variicolor schwarz (am Foto schwer zu sagen, ob es schwarz oder dunkelbraun ist - wegen des Kontrastes zur Stieloberfläche). Was mir nicht so ganz gefällt, ist die Form der Caulocystiden. Wenn es L. variicolor ist, dann in einer ungewöhnlichen Farbvariante, die aber vielleicht noch in die Variationsbreite fallen dürfte.

Leccinum umbrinoides kenne ich wie gesagt nicht aus eigener Anschauung. Man müsste bei richtig alten Fruchtkörpern aber am Stiel olivgrüne Töne entdecken - an der Basis und auch oben unter dem Hutansatz. Im Fleisch ist das Blauen teils schon sehr türkis und ziegt sich hoch ins Stielfleisch. Leccinum variicolor kenne ich mehr unten grün-blauend, oben deutlich rötend, aber nicht so durchgemischt. Und wenn die Stielschuppen nicht schwarz, sindern dunkelbraun sind, würde es passen.

Ich schwanke daher zwischen den beiden Arten.

Da du den Lannoy & Estadés ja hast, empfehle ich, die beiden selber anhand des Frischmaterials zu vergleichen. Hat man den Pilz selber in der hand gehabt und gesehen, kann man die Makroskopie oft besser deuten.

Auf alle Fälle spannend.

Und zum oranghütigen - da würde mich eine Solobeschreibung interessieren. Hat das Fleisch wirklich entsprechend reagiert? Oder deutlicher, vielleicht auch etzwas geschwärzt? Oder weniger, und nur in der Basis etwas blaugrün, sonst kaum rosa?

Liebe Grüße,
Christoph
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)

Bernd Miggel

#1


Bild 1 –Standort: feuchtes Wiesengelände unter Birken, Eiche, Hasel, Halbschatten, zeitweise besonnt


Übersicht
Eine ,,kleinere Ausgabe" des normalen Birkenpilzes Leccinum scabrum, jedoch mit blaugrün verfärbendem, unteren Stielbereich, etwas gedrungenere Sporen und hell- bis dunkelbraun inkrustierten Elementen  in der Hutdeckschicht.

Text und Bilder
Bernd Miggel

Eckdaten zum Fund
Funddatum – 10.09. und 12. 09. 2020
Belegnummer – kuh20010
Fundort (Bild 1) – Kuhbrunnenwiesen, Baden-Württemberg, Kreis Karlsruhe, Gemeinde Karlsbad
Koordinaten - MTB 7116/22, Höhe 320 m
Boden, Geologie – Parabraunerde-Pseudogley aus Lösslehm über Lösslehm
Standort – feucht, hell, stundenweise besonnt, im Gras, Teilbeschattung durch Betula pendula
Begleitbäume – Betula pendula, Quercus petraea, Corylus avellana
Fund – 5 Fruchtkörper, davon 3 in einer Gruppe, 4 graubraun, 1 mittelbraun
leg – Bernd Miggel

Makroskopische Merkmale der aufgefundenen Fruchtkörper (Bilder 2 und 3)
Hüte der aufgefundenen Fruchtkörper –  50-60 mm breit, stark gewölbt, hell graubraun bis warmbraun, nach Kornerup & Wanscher (1981) 6D4-5, 6E5-6, 5D-E4-5.
Stiele – schlank, 90-95 mm x 12-13 mm, Basalbereich 1-3 mm dicker.
Stieloberfläche – weißlich bis creme mit schwärzlichen bis braunschwarzen, in erhabenen Längsstreifen angeordneten Schuppen. Die Schuppen haben einen kaum wahrnehmbaren, grünlichen Anflug. Sie sind bis fast in die Stielspitze vorhanden.
Röhren – graulich, 11-13 mm lang, Poren rundlich, ca. 3 pro lfd. mm.
Fleisch (Bild 4) – weiß, über den Röhren im Mittel 5 mm dick, im Schnitt blaugrün und rosa verfärbend, meist untere Stielhälfte, vor allem Madengänge,  blaugrün, oberer Stielbereich und Hutfleisch meist rosa.

Mikroskopische Merkmale der aufgefundenen Fruchtkörper
Sporen (Bild 5) – spindelförmig mit supraapikularer Depression, glatt, dünnwandig und hyalin.
39 Sporen des ausgefallenen Sporenstaubes wurden in Leitungswasser vermessen:
95 %-Erwartungswerte:
Populationsgrenzen PG: 14,0-17,0  x  4,9-6,2 µm; Mittelwert AV: 15,2-15,7 x  5,4-5,7 µm
Mittlerer Schlankheitsgrad Qav: 2,73-2,87; Mittleres Volumen Vav: 240-260 µm3
Hutdeckschicht (Bilder 6 und 7)  – aus bis 10 µm dicken Hyphen und Zystiden bestehend, deren Abschnitte 30-50 µm lang sind. Elemente arttypisch hell- bis dunkelbraun inkrustiert, mit intrazellzlärem Pigment. Einige Hyphen extrazellulär grob inkrustiert (Bilder 8 und 9).
Kaulozystiden der Stielschuppen (Bilder 10 und 11) – hyalin, dünnwandig, nicht inkrustiert, spindelförmig, keulig, flaschenförmig, ballonförmig, mit langem, basal mit schlankem, mehrfach septiertem Stielteil.
Maximale Dicke des Kopfteils: ca. 30 µm.


Um welche Art handelt es sich?



Literatur
GRÖGER F., BRESENSKY, A. und BESL, H. (Herausg.) (2006): Bestimmungsschlüssel für Blätterpilze und Röhrlinge in Europa Teil I, Regensburger Mykologische Schriften Band 13, Regensburg.
KIBBY G (2017) – Mushrooms and Toadstools of Britain & Europe, Vol. 1. Eigenverlag.
KORNERUP A & WANSCHER JH (1981) – Taschenlexikon der Farben. Göttingen
KUYPER TW, VELLINGA EC, NOORDELOOS ME (2018) Boletales E.J. Gilb.  – In: Flora Agaricina Neerlandica. Volume 7. Candusso Editrice, Origgio (VA).
WELT P & HAHN C  (2005): Studien zur Gattung Leccinum 2.  Leccinum schistophilum, Schiefer Raustielröhrling (Boletales, Boletaceae) in Sachsen. Erstfund für Deutschland. – In: Zeitschrift für Mykologie. Band 71/1, 2005.
DEN BAKKER HC & NOORDELOOS ME (2005): A Revision of European species of Leccinum Gray and notes on extralimital species. In: Persoonia, Vol. 18, Part 4.
HAHN C (1997): Studien zur Gattung Leccinum 1. Vergleich von Leccinum oxydabile und L. variicolor. - In: Österr. Z. Pilzk. 6 (1997).
LANNOY G & ESTADES A (1995): Monographie des Leccinum d'Europe.
SUTARA J (1989): The delimitation of the genus Leccinum. In: Ceska Mykologie 43:1-12, Plates I-IV (1989).


Bilder:



Bild 2 – Graubraune Fruchtkörper am Standort




Bild 3 – Ein eher warmbrauner Fruchtkörper am Standort 




Bild 4 – Verfärbungen im Schnitt nach 15 Minuten: gleichzeitig blaugrün und rosa




Bild 5 – spindelförmige Sporen mit supraapikularer Depression, Präparat in Wasser




Bild 6 – Braunes, intrazelluläres Pigment der Hutdeckschichtelemente, Präparat in Wasser




Bild 7 – Braunes, intrazelluläres Pigment der Hutdeckschichtelemente, Präparat in Wasser




Bild 8 –Hutdeckschichtelement mit extrazellulären Inkrustationen, Präparat in SDS-Kongorot




Bild 9 – Einige Hutdeckschichtelemente extrazellulären Inkrustationen, Präparat in SDS-Kongorot




Bild 10 – Kaulozystiden der Stielschuppen, Präparat in SDS-Kongorot




Bild 11 – Einzelne Kaulozystide aus dem Stielschuppenbereich, Präparat in SDS-Kongorot