Lieber Till,
man wird heute kaum noch die Tafel 16 von Singer interpretieren können. Das Hauptptoblem damals war, dass einigen Autoren (Singer, Pilat, Dermek, Engel) nicht klar war, dass das Erscheinen roter Farbtöne am Hut eine Alterserscheinung waren. Grau- bis jeißhütige (junge) Exemplare und ältere, rötliche bis weinrötliche Exemplare wurden unterschiedlichen Arten zugeordnet. Letztere wurden Boletus rhodopurpureus genannt, erstere wurden als Boletus satanoides / B. spendidus ssp. splendidus, B. splendidus ssp. moseri, Boletus legaliae etc. genannt.
Smotlacha hatte in seiner Originaldiagnose von Boletus rhodopurpureus dessen Schwärzen am Hut auf Druck erwähnt, aber das wurde von den oben genannten Autoren nicht beachtet. Redeuilh hat dann später in den 90er Jahren darauf hingewiesen und Boletus rhodopurpureus neu interpretiert (bzw. im Originalsinn). Heute trennt man da ja Gattungen...
Singer war bereits klar, dass es unter den "Grauen" (die aber später eben auch rot werden dürfen) eine Berg(unter)art und eine Flachland(unter)art gibt. Jetzt ist es so, dass die Flachlandart alt stark nach Sellerie riecht und sehr schmale HDS-Hyphen aufweist, während die Gebirgsart breite HDS-Hyphen hat und nicht so intensiv riecht, dafür aber alt röter wird als die Flachlandart und dann eben alt immer wieder als Boletus rhodopurpureus fehlinterpretiert wurde.
Leider hat Singer die HDS-Maße der beiden Taxa wohl verwechselt, da er der Gebirgsart die schmalen und der Flachlandart die breiten HDS-Hyphen zugeordnet hat. Eine weiteres Problem war die Angabe der Symbionten, denn die Gebirgsart sollte unter Nadelbäumen, die Flachlandart unter Laubbäumen wachsen.
Heute weiß man, dass auch Rubroboletus rubrosanguineus, die Gebirgsart, bei Buchen vorkommt und ins Flachland hinabsteigt (hat breite HDS-Hyphen), während die Tieflandart nur bei Laubbäumen (v.a. Eiche) vorkommt und nicht ins Gebirge aufsteigt (Rubroboletus legaliae, schmale HDS-Hyphen).
Geht man davon aus, dass es (abgesehen von der Gattung Imperator, die sehen wirklich anders aus...) zwei "Falsche Satanspilze" bei uns gibt (R. rhodoxanthus hat ja viel gelberes Fleisch und blaut nur oben im Hut und R. pulchrotinctus kommt bei uns m.w. nicht vor, die Blum'schen Boletus pseudosatanas & Co. lasse ich mal außen vor), dann bleibt nur die Frage, wie man sie nennt.
Boletus splendidus ist alt, aus dem Jahr 1894, Boletus satanoides aus dem Jahr 1920, Boletus legaliae aus dem Jahr 1968 und Boletus rubrosanguineus aus dem Jahr 1983.
Man hat sich aber entschieden, die beiden jüngsten Namen zu wählen: Boletus legaliae für die Flachlandspezies, die so stark nach Sellerie riecht und Boletus rubrosanguineus für die Gebirgsart, die besonders gerne im Alter dunkler wird.
Boletus satanoides wurde, wenn ich es gerade richtig im Kopf habe, von Smotlacha als Laubwaldart beschrieben, der Typus stammt aber aus dem Nadelwald und passt nicht zum Protolog (oder umgekehrt? jedenfalls gab es da Verwirrung). Ich weiß nur, dass Boletus satanoides als nomen dubium abgeleht wurde, da man darunter beide heutigen R. legaliae und R. rubrosanguineus verstand.
Auch bei Boletus splendidus kann man wohl nicht klar sagen, welcher Art man den Namen zuordnen soll.
Also nimmt man die beiden jüngsten Namen, deren Interpretation klar ist. Das heißt aber auch, dass man durch Neo- oder Epitypisierung (je nachdem, ob heute noch Originalmaterial vorliegt) die beiden alten Namen wieder ausgraben könnte und definieren und verwenden könnte.
Was aber Singer nun darunter verstand, ist nur anhand der Tafel und Beschreibung völlig unklar. Das liegt eben daran, dass man damals die Merkmale anders gewichtete und nicht klar war, dass die Hutfarbe altersbedingt schwankt. In Pilze der Schweiz Bd. 3 findet man R. rubrosanguineus dreimal unter drei unterschiedlichen Namen, was eine Folge darauf ist (jung, mittelalt, alt) bzw.unter zwei Namen, wenn man einen der frei als R. legaliae interpretiert.
Im Prinzip geht das ein wenig bis heute so. Z.B. Janda et al (2017), die zeigen, dass Boletus spinarii ein Synonym von R. legaliae ist, gehen absolut nicht auf die Mikroskopie ein (z.B. HDS):
http://www.czechmycology.org/_cmo/CM69103.pdfVermutlich deshalb diskutieren sie nicht die Abgrenzung zu anderen Taxa, sondern zeigen (wie auch der Artikel natürlich richtig in der Überschrift ankündigt) nur die makroskopische Variationsbreite. Bei der Synonymisierung hätte ich aber zumindest auch die Anatomie der beiden Typen verglichen.
Der Geruch wird auch unterschiedlich interpretiert - die R. legaliae vom Blutsee riechen wirklich auch frisch intensiv nach Sellerie, Halema (2016): Rubroboletus le-galiae (Boletales, Basidiomycota), a species new for Poland. Acta Mycol. 2015;50(2):1066.
http://dx.doi.org/10.5586/am.1066, beschreibt den Geruch als schwach pilzig, getrocknet nach Maggi - andere Autoren als nach Heu (vermutlich Duftgras? also auch Liebstöckl/ Maggi?).
Vielleicht gibt es da auch eine gewisse Variationsbreite im Geruch. Ich empfehle dir aber den oben verlinkten Artikel von Janda et al. (2017) hinsichtlich der Makroskopie von R. legaliae. R. rubrosanguineus kennst du ja und wenn dein Pilz anders aussieht, ist es spannend. R. legaliae wäre für uns hier ein außergewöhnlicher Fund, da er es eigentlich sehr heiß mag.
Ich kann auch gerne den Beleg nachmikroskopieren, wenn du magst. Wenn du und Bilder zeigen könntest, wäre das natürlich super. Dann fällt es auch leichter, den Pilz zu interpretieren. Ich empfehle aber wie gesagt, Singer, Dermek, Engel (etc.)m also alles von vor den 90er Jahren) nicht als Basis zu nehmen.
Liebe Grüße,
Christoph
P.S.: Klofac hat in seinem Boletenschlüssel auch die Tafel 16 bei Singer keiner Art zugeordnet (15 hat er, 17 hat er, 16 fehlt, wenn ich's nicht übersehen habe):
https://www.zobodat.at/pdf/OestZPilz_16_0187-0279.pdfP.P.S.: ich verschiebe das Thema in den Mykologie-Bereich, da das hier wenig mit Pilzberatung zu tun hat ;-)