Forum der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft

Allgemein => Expertenforum Mykologie => Thema gestartet von: Christoph am 3. Januar 2018, 00:00

Titel: Athelia "centrifuga" - ein interessanter Flechtenfresser
Beitrag von: Christoph am 3. Januar 2018, 00:00
Liebe Foristi,

ich beschäftige mich ja ab und zu mit Pilzen an / auf Flechten. Sehr auffällig sind m.E. flechtenfressende Athelia-Arten. Athelia arachnoidea gehört beispielsweise dazu - sie wächst auch an stehenden Bäumen, bildet ihre Fruchtkörper auf den Flechten und frisst diese auf. Anhand ihrer zweisporigen Basidien ist diese Art leicht kenntlich (neben der Sporenform und - größe) - wenn sie fertil ist. Allerdings findet man Athelia arachnoidea auch am Boden an diversem Substrat. Obligat flechtenfressend ist sie also wohl nicht.

Im Nationalpark Bayerischer Wald habe ich an einem Sukzessionprojekt an Windwürfen gearbeitet. Kurz nach dem Fall der Bäume kamen schon die Athelien und knabberten an den nun unterseits im Schatten sich befindenden Flechten an den Fichtenstämmen. Meist waren die Athelien steril, manchmal hatte ich aber Glück und fand Basidien / Sporen und kam dann in der Gruppe rund um Athelia epiphylla heraus (namentlich beispielsweise Athelia salicum).

Im letzten Winter fand ich dann hier bei mir in der Nähe, genau gesagt in Fürstenfeldbruck im Park gegenüber vom Kloster Fürstenfeld, wieder eine schöne Athelia an Flechten - diesmal am lebenden, aufrecht stehenden Baum. Die Athelia wächst dabei meist kreisrund und dünnt in der Mitte wieder aus, woher der Name Athelia centrifuga herrührt. Man sieht auch schön, dass sich winzige Sklerotien bilden. Diese bestehen aus unreifen Büscheln junger Basidien - also aus Probasidien nebst Subhymenium / Trama, aber allesamt steril. Ich vermute, dass diese Mikrosklerotien als Verbreitungseinheiten dienen (über Tiere? Über Wind?).

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=1648.0;attach=16926;image)

Oben: viele, winzige Sklerotien, die hier wie kleine, weiße Punkte erscheinen

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=1648.0;attach=16928;image)

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=1648.0;attach=16930;image)

Sehr junger Überzug, noch ohne Sklerotien (natürlich steril)

Athelia "centrifuga" ist eine Sammelbezeichnung für sterile Athelien an lebenden / absterbenden Flechten - es verbergen sich also mehrere Arten dahinter (Ath. epiphylla, Ath. salicum, Ath. arachnoidea usw.). Genauer bestimmen kann man die Arten anhand der Mikrosklerotien meines Wissens nicht.

Es gibt sogar eine Athelia, von der man keine Hauptfruchtform kennt: Athelia rolfsii = Sclerotium rolfsii. Sie bildet ebenfalls diese Mikrosklerotien aus, ist aber ein Pflanzenparasit (an Tomaten, Zwiebeln, diversen anderen Nutzpflanzen...).

Der Lebenszyklus der Flechtenfresser ist noch nicht bekannt - gehen die genannten Arten immer an Flechten? Warum gibt es sie dann auch in der Streu an Ästchen etc.? Oder sind sie nur potentiell licheniphag und bilden nur an Flechten die Sklerotien aus, an anderen Substraten aber friedlich normalen Fruchtkörper - oder ist es nicht die Flechte, sondern die Alge, die sie anzieht? Und sind sie auch am Boden auf Algen fixiert?

Es gäbe viel zu forschen, doch wer interessiert sich für Athelien? Vielleicht kann ich ein bisserl anregen, auf diese Flechtenfresser zu achten. Die Fotos stammen aus dem Dezember 2015.

Liebe Grüße,
Christoph
Titel: Re: Athelia "centrifuga" - ein interessanter Flechtenfresser
Beitrag von: blacky am 3. Januar 2018, 12:30
Lieber Christoph,
kurz gesagt:
Super Beitrag. Danke!
LG
Thomas
Titel: Re: Athelia "centrifuga" - ein interessanter Flechtenfresser
Beitrag von: Christoph am 3. Januar 2018, 13:39
Danke Thomas  :)

LG
Christoph
Titel: Re: Athelia "centrifuga" - ein interessanter Flechtenfresser
Beitrag von: Christoph am 20. Januar 2018, 13:38
Hallo zusammen,

manchmal schreibt man etwas vorschnell  ;)

ZitatDer Lebenszyklus der Flechtenfresser ist noch nicht bekannt - gehen die genannten Arten immer an Flechten? Warum gibt es sie dann auch in der Streu an Ästchen etc.? Oder sind sie nur potentiell licheniphag und bilden nur an Flechten die Sklerotien aus, an anderen Substraten aber friedlich normalen Fruchtkörper - oder ist es nicht die Flechte, sondern die Alge, die sie anzieht? Und sind sie auch am Boden auf Algen fixiert?

Nun, ich habe ein bisserl nachrecherchiert und habe dann einen Artikel entdeckt, den ich bislang übersehen hatte:

Yurchenko E. O., Golubkov V. V. (2003): The morphology, biology, and geography of a necrotrophic basidiomycete Athelia arachnoidea in Belarus. Mycological Progress 2(4): 275–284

Die Studie zeigt, dass Athelia arachnoidea Algenzellen attackiert. Es werden sowohl freie Algenrasen als auch Flechten angegriffen. Im letzteren Falle werden die Thalli zerstört und die Algen offenbar "gefressen". Athelia arachnoidea kann aber auch junge Moospflänzchen attackieren. So schreiben die Autoren "It parasitizes epiphytic lichens, green coccoid algae, and mosses."

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=1648.0;attach=17134;image)
Aus Yurchenko & Golubkov (2003: 279, Fig. 3)

Interessant ist auch, dass die Nebenfruchtform von Athelia arachnoidea auf Karotten geht - so auch auf gelagerte Karotten (und sie ist daher sogar wirtschftlich relevant). Bislang wurde die Nebenfruchtform Fibularhizoctonia carotae (Rader) G. Adams & B. Kropp genannt.

Und da soll mal einer sagen, Athelien seien langweilig.

Ich hätte die Ausprägung als "Athelia centrifuga" auch als Nebenfruchtform bezeichnet, da die Mikrosklerotien ja durchaus einer Ausbreitungsstrategie dienen können. Dass es dann noch eine weitere, Konidien bildende Nebenfruchtform an Karotten gibt... Sachen gibt's  ;)

Liebe Grüße,
Christoph
Titel: Re: Athelia "centrifuga" - ein interessanter Flechtenfresser
Beitrag von: Christoph am 14. Februar 2018, 22:03
Hallo zusammen,

jetzt habe ich eine aktuelle Kollektion (Donauauen bei Melk, Niederösterreich). Es handelt sich hier um Athelia arachnoidea s.str. - zweisporige Basidien, relativ große Sporen, schöne Nadelkristalle usw.

Man kann sehr schön sehen, wie das Myzel die Flechte einspinnt (daher wohl der Name). Schließlich wird das Myzel dichter und hier bildeten sich statt der Mikroskerotien eben fertile Hymenien - die Sklerotien kamen dafür gar nicht.

Interessant finde ich auch, dass die Xanthoria selbst das ganze teils überlebt - die Athelia zieht sich zurück und es bleibt ein knallgelber Thallus übrig - sozusagen Xanthoria parietina ganz allein ohne Algen - daher quitschgelb.

Hier ein paar Fotos von dem Phänomen.  :)

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=1648.0;attach=17539;image)
Athelia arachnoidea s.str.

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=1648.0;attach=17541;image)

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=1648.0;attach=17543;image)

(http://forum.pilze-bayern.de/index.php?action=dlattach;topic=1648.0;attach=17545;image)

Liebe Grüße,
Christoph