vergammelte Pilze als verweste Pilze benennen

Begonnen von Schorsch, 12. Juli 2017, 13:38

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Christoph

Servus Peter,

ja, es ist teils unglaublich, was manche Leute noch essen wollen. Und die Trophäenbilder in manchen Foren finde ich mehr als grenzwertig. Matschige und vermadete Rotfußröhrlinge, aber Hauptsache essbar...

Das hat sicherlich einen tiefenpsychologischen Grund. Warum sonst schaltet man sein normales Verhalten ab ("was gammelig ist und schon riecht, isst man nicht, wenn Maden einem zuwinken, isst man das auch nicht mehr") und stopft alles in sich rein. Warum sammeln manche Leute selbst kleinste Pilzbabies, die niemand bestimmen kann?

Neulich in einem anderen Forum hat jemand einen ganzen Haufen Bitterröhrlinge inegesammelt. Der Sammler hatte keine Ahnung, was das ist, hat selbst die kleinsten Knöpfe gerafft, alles schon vorgeputzt (Stielbasis entfernt) und wollte dann die ihm unbekannten Pilze bestimmt bekommen (und in die Pfanne hauen).

Eigentlich sollten bei solchen Postings Pilzberater / Pilzsachverständige immer wieder auf Grundregeln des Pilzesammelns hinweisen. Dazu gehört auch maßvoller Umgang und Rücksicht beim Sammeln sowie naturschutzfachliche Aspekte in den Vordergrund zu stellen. Unbekannte Arten werden nicht gegessen und man nimmt nur wenige Fruchtkörper zum Bestimmen mit.

Mein Eindruck ist aber, dass viele nicht einmal ein Pilzbuch besitzen und statt sich eines anzuschaffen und nachzulesen, ist es einfacher, oft schlechte Fotos zu posten, einen Namen zu bekommen und dann drauflos zu essen. Dagegen ist das Verspeisen von verwestem Eiweiß ein Klacks.

Offensichtlich schalten viele aber ihren gesunden Menschenverstand ab, wenn es ums Pilzesammeln geht. Ich hatte mal den Fall, dass an meiner Haustür ein Beutel mit Pilzen hing. Darin ein Zettel mit Telefonnummer und dem Kurztext, dass der Sammler diese Pilze verspeist hatte, sich aber jetzt nicht mehr sicher wäre und eine Nachbestimmung erwünscht. Es war Oktober und die Schwammerl waren alle cremefarben / sehr hell.
Der Anruf ergab, dass er Maischwammerl essen wollte - in seinem Buch stand, dass die auch im Herbst kämen. Zum Glück waren es nur harmlose Veilchenritterlinge.

Es ist fast ein Wunder, dass nicht mehr passiert.

Ich vermute, dass das Suchen und Finden, das Sammeln und das Gefühl, "Geheimwissen" (Artenkenntnis, Plätze) zu besitzen, einen richtigen Kick auslösen kann, der einen unvernünftig werden lässt. Deshalb hoffe ich, dass Pilzberater auch in den siversen Pilzforen hier ansetzen und immer wieder aufklären. Manche sind dessen aber viellicht schon überdrüssig. Die Sturheit mancher Menschen ist frustrierend.
Ich denke da an eine ganze Ladung von Gammelmaronen, die ich in der Pilzberatung aussortieren wollte. Die Diskussion war völlig nervig und sinnlos. Ich habe dann eine Bestätigung verlangt, also dass er mir unterzeichnet, dass ich ihn aufgeklärt habe, dass die Pilze nicht genießbar seien. Erst dann hat er sie dagelassen.

Man erlebt manchmal wirklich interessante Situationen. Ich finde das sogar recht spannend. Quasi Verhaltensforschung bei Menschen  ;)

LG
Christoph
Argentum atque aurum facile est laenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est
(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)

Peter P.

Hallo Schorsch,
psychologische Betrachtungen und Pilze, da gibt es wohl kaum Interessanteres. Bei Pilzen scheinen die von dir erwähnten Termini keine Rolle mehr zu spielen, ob verfault, verwest, verwurmt..., manche Leute sammeln einfach alles, was sie für einen Pilz halten, egal in welchem Zustand. Man kann das ja auch täglich in diversen Foren sehen bei Anfragen nach dem Namen unter der Versicherung, das ja sowieso nicht essen zu wollen. Hier steht mein Unglaube dagegen. Schon oft genug bei Pilzwanderungen erlebt, daß von mir aussortierte vergammelte Pilze heimlich wieder eingesammelt wurden, solche Klientel bediene ich nicht mehr, werde jedoch jährlich ins Krankenhaus gebeten, um in den letzten Jahren zunehmend unechte Vergiftungen nachweisen zu können. Letztes Jahr z. B. wurden mir vom 12jährigen Sohn einer mit Magen- Darm- Kolliken im Krankenhaus liegenden Patientin einige Beutel eingefrorener Pilze gebracht, die besagte Frau auch vorher gegessen hatte. Beim Anblick dieser vergammelten Maronen und Steinpilze bekam ich einen dicken Hals und jeder Veganer wäre in Ohnmacht gefallen. Warum der Sohn nicht mitgegessen hatte ? "Das Essen hat so komisch ausgesehen und gerochen". Kinder entwickeln da so ein natürliches Abwehrverhalten, beim Anblick mancher Fotos im Netz von den Speisen oder schon der Zutaten ist das auch notwendig. Mir ist das unerklärlich, wieso gestandene Hausfrauen keinen schwarz gewordenen Blumenkohl kaufen, von Maden wimmelnde Radieschen in den Korb legen, stinkende Kartoffeln im Preis herunterhandeln...., genau das tun manche, wenn es um Pilze geht, nur, weil es nicht kostet ?
Und eigenartigerweise reagiert der Verbraucher sofort und flächendeckend, wenn der Begriff "Ekelfleisch" und "Rinderwahnsinn" fällt, Tschernobyl erwähnt wird, der Fuchsbandwurm umgeht...
Ansonsten verfahre ich auch so ähnlich, wie es Christoph handhabt, vielleicht etwas drastischer formuliert und oft mit dem Verweis, doch auf den käuflichen Erwerb von Pilzen in der Kaufhalle zu bauen, dort gleich Kartoffeln aus Ägypten und Zwiebeln aus Neuseeland mit zu erstehen. Von Eiern würde ich momentan abraten wegen dem "Läusezeugs", aber gab's da früher nicht 'mal ein Shampoo mit Eiern ?
LG Peter P.

Edit: Der Korrektnis halber muß es noch heißen "auch gestandene Hausmänner".
Freiheit ist, das sagen zu dürfen, was andere nicht hören wollen.
Anonymus

Christoph

Servus Schorsch,

Verwesung ist sicherlich ein passender Ausdruck. Ich frage die "Zielgruppe" ganz gerne, wie sie reagieren würde, wenn sie solche Ware in einem Supermarkt sehen würden. Würden sie das kaufen oder sich beim Leiter beschweren? (Eher letzteres) - warum in drei Teufels Namen soll man sowas dann freiwillig essen?

;)

LG
Christoph
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(Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, auf Pilze zu verzichten - Spruch von Martial)

Schorsch

Liebe Pilzberater,
immer wieder wird von erfahrenen Pilzberatern beklagt, dass Ratsuchende mit Tüten von vergammelten Pilzen kommen mit der Frage nach Essbarkeit. Wenn man dann sagt: ,,Ja irgendwann waren sie essbar, aber jetzt sind sie vergammelt und verfault. Die gehören zurück in den Wald oder die Biotonne", mangelt es oft an Einsicht und die Leute wollen die Pilze doch verspeisen. So schlimm sei es ja gar nicht. Die Worte des Pilzberaters waren wohl nicht eindrücklich genug. Ich schlage deshalb vor es mit einem anderen Ausdruck zu versuchen. Statt die Pilze als ,,verfault" ,,verwest" zu benennen. Das kommt erst mal der Tatsache näher, dass Pilze dem Tierreich näher stehen als den Pflanzen. Außerdem erzeugt ,,Verwesung" viel mehr Abscheu und geht darum auf der emotionalen Ebene tiefer als ,,Verfaulung". Und die Entscheidung der Menschen ist überwiegend emotional und erst sekundär rational wie wir aus der Psychologie wissen. Also beteiligt Euch doch an diesem psychologischen Experiment und teilt Eure Erfahrungen mit.
LG Schorsch

Frei di, dass regnt, wei wannst di ned freist, regnts aa.
frei nach Karl Valentin.